Geschichten von Menschen

Interview mit Frauke Sandig und Eric Black

Wie hat Sie dazu bewegt, einen Film über das Thema der künstlichen Fortpflanzung zu machen?

Frauke Sandig/Eric BlackDen Anstoß gab ein Artikel in der ZEIT, ein Essay über Kalifornien als „Land der Kindermacher“. Die Geschichten und Charaktere waren so bunt und bizarr und das Thema hatte eine solche Tragweite, dass wir sofort einen Film vor uns gesehen haben. In dem Artikel wurde auch einer unserer späteren Protagonisten erwähnt, Bill Handel, der Radiomoderator und Besitzer der Leihmutter-Agentur.

Diese Figur hat uns besonders gereizt, weil sie durch ihre beiden unterschiedlichen Berufe dramaturgisch Orte und Erzählstränge in vielfältiger Weise verbinden konnte: z.B. im Radio zum Thema zu sprechen, während andere Protagonisten zuhören, auf den Straßen und Freeways von Los Angeles, meistens übrigens im Stau. Für die Recherche waren dann Lori Andrews und ihr Buch The Clone Age die wichtigste Inspiration und Quelle für uns.

Wie wollten Sie dieses zunächst eher wissenschaftliche Thema in einen Kinofilm übersetzen?

Uns war von Anfang an klar, dass wir keinen Wissenschaftsfilm machen, sondern Geschichten von Menschen in einer Stadt erzählen wollten, in Los Angeles. Wissenschaft existiert nicht in einem kulturellen Vakuum. Unsere Frage war: Wie muss eine Gesellschaft beschaffen sein, um diesen ausgeprägten Wunsch nach Designer-Kindern zu entwickeln?

Visuell und dramaturgisch haben wir uns eher am Spielfilm als am Dokumentarfilm orientiert. Wir haben in der Entwicklung oft an Magnolia oder Short Cuts gedacht, die zunächst scheinbar unverbundene Episoden und Figuren in Los Ange-les zusammenführen und dabei fast beiläufig auch ein Gesellschafts- und Stadtportrait schaffen. Daneben haben uns natürlich auch Science Fiction-Filme wie Blade Runner interessiert –  keine andere Stadt wurde ja so oft als kalte, seelenlose Stadt der Zukunft dargestellt wie Los Angeles. Es hat uns gereizt, für das Thema der Bio-Technologie diesen Mythos der Stadt und die damit verbundenen Klischees zu benutzen.

Ein anderer Aspekt war die oft unfreiwillige Komik, die in vielen Geschichten steckte. Gerade weil das Thema so ernst ist, wollten wir keinen „depressiven“ Film machen, sondern die Gefahren der Bio-Technologie eher über den gewissermaßen naiven Zynismus eines Bill Handel, die Naivität der „Eispenderinnen-Engel“ oder den Samenbankdirektor Cappy Rothman transportieren, der so stolz auf seinen „Rassen“-Farbcode für die Samenaufbewahrung ist. Wobei bei aller Absurdität mancher Geschichten immer die Grundvoraussetzung wichtig war, unsere Protagonisten niemals zu denunzieren oder lächerlich zu machen.

Wie haben Sie Los Angeles gesehen, wie und aus welchen Blickwinkeln wollten sie die Sadt zeigen?

Nirgendwo sonst zeigt sich der Kapitalismus so nackt und ungeniert wie hier. Die Trennlinien zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe und Herkunft, zwischen Arm und Reich, Erster und  Dritter Welt sind überall im Stadtbild deutlich zu erfahren. Und gleichzeitig sind Los Angeles, Disney-World und Hollywood das Sinnbild einer schönen neuen Scheinwelt, des Fake.

Ein wichtiger Aspekt war die Bewegung, der Verkehr, der die Stadt dominiert und sie fast zum Ersticken bringt. Keine andere Stadt scheint so abhängig von Autos, Hubschraubern und Flugzeugen zu sein. Jeder Los Angeles-Tourist hat das erlebt, dass der Himmel permanent von Hubschrauberlärm erfüllt ist. Die durchschnittliche Pendelzeit zur Arbeit ist für die Angelinos doppelt so lang wie in anderen amerikanischen Städten. Der Stau ist fast so etwas wie eine Lebensform geworden.

Der Verkehr, die Hubschrauber, die Achterbahnen, Ölpumpen und diese ganzen Science Fiction-Stadtlandschaften sind wie ein Sinnbild für „alte“ Technologien, die irgendwann außer Kontrolle geraten sind. Und nirgendwo sonst stellt sich der Traum vom perfekten Körper, vom Körper ohne Hässlichkeit, Alter, Krankheit oder Tod – der mit dem Traum vom perfekten Kind weitergeht – so offen zur Schau wie in Hollywood, an den Muskel-Stränden und in den Fitness-Fabriken von Los Angeles. Als mitten in den Dreharbeiten der Irakkrieg begann und in allen Medien, auch in Bill Handels Radiosendung, Propaganda gemacht wurde, ging dieser Fitnesskult am Strand und in den Straßen weiter, als wäre nichts geschehen. Es war gespenstisch.

Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden, die ja sehr offen auch über ihre Positionen und immer wieder auch über sehr persönliche Angelegenheiten reden?

Lori Andrews und ihr Buch haben uns viele Richtungen gezeigt, in die wie in der Recherche gehen konnten. Bill Handel, Cappy Rothman und Doron Blake, der Spross der Nobelpreisträger-Samenbank, werden dort erwähnt. Wenn man über die Fruchtbarkeits-Industrie recherchiert, stößt man dauernd auf diese Namen. Diese Leute sind extrem medienerfahren, und es war nicht sehr schwer, sie zu überzeugen, bei unserem Film mitzumachen. Viele sehen das schlichtweg als Promotion ihrer Branche. Die Eizellenspenderinnen und die Leihmutter haben wir über die Agenturen gefunden, ebenso Amy und Steve, das Ehepaar, das sich ein Kind wünscht.

Wir hatten dabei oft den Eindruck, dass es angesichts der Allgegenwart der Medien in Los Angeles als ganz normal empfunden wird, über sehr Persönliches öffentlich zu reden. Es war uns allerdings wichtig, in langen Vorgesprächen ohne Kamera und in privaten Treffen eine Ebene zu schaffen, die über die oberflächliche Begegnung hinausgeht.

Für die Interviews haben wir uns dann immer sehr viel Zeit gelassen. Wir haben allen von Anfang an klar gesagt, dass wir im Film keinen Kommentartext machen, sondern die Aussagen nur nach bestem Wissen und Gewissen komprimieren würden – so dass es vor allem ihnen überlassen bleibt, wie sie sich darstellen wollten.

Wie haben die Protagonisten auf den Film reagiert?

Die meisten haben den Film inzwischen gesehen und alle haben sehr positiv reagiert. Lori Andrews und Amy und Steve Jurewicz sind zur Weltpremiere beim Sundance Film Festival gekommen. Lori war sofort begeistert. Amy und Steve hatten vorher die Befürchtung, als Eltern, die eine Leihmutter angeheuert hatten, negativ beurteilt zu werden, fanden sich aber sehr gut und ehrlich dargestellt. Das Baby, das im Film geboren wird, war bei der Zuschauerdiskussion mit auf der Bühne.

Natürlich waren wir auf die Reaktion von Bill Handel besonders gespannt, weil er die zwiespältigste Figur im Film ist - mit seiner Leihmutter und Eispenderinnen-Agentur ist er einerseits der radikalste Verfechter des freien Marktes und des Geschäftemachens um jeden Preis, andererseits ist ihm das Drohen einer neuen Eugenik besonders bewusst, da seine Familie im Holocaust ermordet wurde. Gerade er hat sich zu unserer Überraschung am euphorischsten geäußert und unterstützt den Film vorbehaltlos.

Wie haben Sie gedreht in einer Stadt wie Los Angeles?

Wir waren meistens nur zu zweit unterwegs, mit kleiner DV-Ausrüstung, Funkmikrophonen und Steadycam. Für besondere Situationen haben wir dann Assistenten oder Tonleute dazu geholt. Es gab bei den Dreharbeiten vor allem zwei Probleme. Erstens ist Los Angeles wahrscheinlich die meistgefilmte Stadt der Welt. Es ist nicht einfach, Orte zu finden, die noch nicht gefilmt wurden, oder die Stadtlandschaft mitsamt ihren Klischees in einen anderen Kontext zu stellen. Damit haben wir uns lange beschäftigt. Das andere Problem war ein sehr handfestes, nämlich dass es in den Industriegebieten oder Armenvierteln oft sehr gefährlich war, vor allem nachts, sich mit dem Kamera-Equipment auf den Straßen zu bewegen. Ein Freund hat uns als Assistent, Fahrer und Bodyguard in vielen Situationen sehr geholfen.

Insgesamt haben wir über drei Jahre an Frozen Angels gearbeitet. Projektentwicklung, Recherche und Dreharbeiten liefen dabei immer wieder parallel. In knapp drei Jahren waren wir dreimal für jeweils drei Monate in Los Angeles. Schnitt und Postproduktion haben dann zusammen noch einmal etwa acht Monate gedauert.

Wie sind Sie bei der Montage des Films vorgegangen?

Wir hatten sehr viel Material, etwa 140 Stunden. Bei Schnittbeginn mussten wir uns der Herausforderung stellen, dass es bis auf die Geschichte von Schwangerschaft und Geburt keine lineare Erzählstruktur gab, keine offensichtliche Storyline, die von A nach B läuft. Wir haben uns dann mit unserer Cutterin SilkeBotsch auf die Dialektik von Linea-rität und Puzzle eingelassen. Die Karteikarten haben irgendwann die ganze Wand unseres Schneideraums ausgefüllt.

Für uns war entscheidend, dass alle Protagonisten im Laufe des Films ihre eigene Geschichte bekommen würden, die sich mit den anderen verknüpft. Die Stadt Los Angeles selbst war dabei eigenständiger Protagonist, mit eigenen Bild- und Musiksequenzen. Der Film hat sich dann im Verlauf der Arbeit aus vielen einzelnen Fragmenten und Szenen herausgeschält.

Der Soundtrack des Films verblüfft durch seine Unterschiedlichkeit einerseits und Stimmigkeit andererseits. Welche Kriterien hatten Sie bei der Musikauswahl?

Wir haben mit vielen unterschiedlichen Musikstücken experimentiert. Auf einige sind wir durch merkwürdige Zufälle gestoßen. Den Schlusstitel zum Beispiel, Crash-Landing, haben wir entdeckt, weil die australische Sängerin Max Sharam uns während der Dreharbeiten ihre Wohnung in Los Angeles untervermietet und eine ihrer selbstproduzierten CDs auf dem Tisch liegengelassen hatte. Überhaupt waren die vielen Behausungen, in denen wir während der Dreharbeiten zur Untermiete gewohnt haben, eine gute Gelegenheit, ganz unterschiedliche CD-Sammlungen durchzuhören.

Die Cellistin und Komponistin Zoe Keating haben wir ebenfalls durch Zufall kennengelernt, bei einer Ausstellungseröffnung in San Francisco. Wir hörten sie spielen und wussten sofort, dass diese Musik wunderbar zu unseren Bildern passen würde. Ihre Musik bildet jetzt die eine wesentliche Ebene im Film. Die zweite Ebene korrespondiert mit den Klängen und Geräuschen der Stadt, wofür uns der Berliner Musiker Thomas Mävers einige Stücke komponiert hat. Dazu haben Matz Müller und Erik Mischijew ein wunderbares Sound-Design geschaffen, das eine fast surreale Atmosphäre erzeugt und selbst zur Musik geworden ist.

Das Panorama, das Sie in Ihrem Film zeigen, scheint die alte These zu bestätigen, dass gemacht wird, was gemacht werden kann. Ist die Entwicklung der Bio-Technologie überhaupt noch zu steuern?

Kalifornien hat die liberalsten Gesetze und ist das Mekka der künstlichen Fortpflanzung. Nirgendwo gibt es so viele Fruchtbarkeitskliniken, Leihmütter- und Eispenderinnen-Agenturen. Das Merkwürdige ist, dass sich die meisten Beteiligten der möglichen Konsequenzen der Weiterentwicklung der Gen-Technologie vollständig bewusst sind, ihre eigene Rolle aber als sehr harmlos und altruistisch interpretieren. Die Eispenderinnen und Leihmütter geben als ihre Hauptmotivation fast einheitlich an, dass sie Gutes tun wollen. Viele sehen sich als Engel, die anderen Menschen zu einer Familie verhelfen wollen.

Wenn die Entwicklung der GenTechnologie Los Angeles und den Kräften des freien Marktes überlassen bleibt, ist die Entwicklung wahrscheinlich nicht aufzuhalten. Die Manipulation menschlicher Gene hat das Potential, zu einem riesigen Markt zu werden. Wenn wir dazu noch etwas zu sagen haben wollen, müssen wir es jetzt tun, solange die Technologie noch eher in den Kinderschuhen steckt. Persönlichkeiten wie Lori Andrews, die jetzt vor dem amerikanischen Kongress für die Beschränkung der Gentechnologie kämpft, machen da durchaus Hoffnung.

 

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